In seinem Hirtenbrief von 2013 widmet sich Bischof Harald Rein zum Thema „Bestattungs- und Sterbekultur“. Die Vorstellungen darüber sind starken Schwankungen unterworfen. Die jeweiligen Zeit- und Lebensumstände sowie die Interpretation von religiösen Ansichten sind Grund dafür. Er betont die Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit als Ausdruck der Würde des Menschen. Die Christkatholische Kirche traut dem Menschen verantwortliches Handeln zu. Dazu gehört auch, dass dem Menschen nicht Entscheidungen abgenommen werden, für die jede und jeder vor sich selbst sowie vor Gott einzustehen hat. Aus diesem Verständnis heraus sollen seine Überlegungen zur Reflexion anregen.
Person
Harald Rein
Amt
Bischof von 2009 bis 2023
Siegelwort
«Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht.» C. A. von Galen
Lebensdaten
* 01.10.1957 in Bochum
Hinweis zum Bild
Bischof Dr. Harald Rein bei der Altarsegnung beim Wiedereinzug in die Epiphanie-Kirche in Biel am 1. Februar 2020 nach deren Renovation.
An die christkatholischen Kirchgemeinden
und an die Christkatholikinnen und Christkatholiken in der Diaspora
Von den letzten Dingen
Gedanken zur zeitgenössischen Bestattungs- und Sterbekultur
Liebe Schwestern und Brüder,
„Das Ende aller Dinge ist nahe. Seid besonnen und nüchtern, widmet euch dem Gebet“ heisst es im ersten Petrusbrief 4,7. Der Verfasser spricht dort vom nahen Ende der Welt. Nun ist der erste Petrusbrief schon 1900 Jahre alt und die Erde dreht sich immer noch. Trotzdem ist das Ende nahe. Denn unsere persönliche Lebenszeit ist begrenzt. Wann der Jüngste Tag wirklich kommt, weiss niemand von uns. Dass wir sterben müssen, wissen wir. Die Vorstellungen bezüglich Jenseits und Tod und die Bestattungsriten waren immer schon starken Schwankungen unterworfen; bedingt durch die jeweiligen Zeit- und Lebensumstände und die Interpretation der biblischen Vorstellungen. Die Bestattungskultur hat in den letzten Jahren einen dynamischen Wandel erfahren. Während früher in vielen Teilen der Schweiz fast alles durch den Staat nach einheitlichen Standards geregelt wurde, kann heute die Bestattungsart aus einem Katalog der Möglichkeiten ausgewählt werden. Neue Formen sind entstanden, wie z.B. anonyme Grabfelder, Zerstreuung der Asche in der Natur, Friedwälder usw. Für diese Entwicklung gibt es vielfältige Ursachen, wie z.B. die Mobilität der Menschen, die Migration, der Rückgang der Religiosität und der Wunsch, bestimmten religiösen Riten und der persönlichen Weltanschauung mehr Rechnung zu tragen. Auch wenn dies grundsätzlich zu respektieren ist, ist es dennoch meine Hirtenaufgabe, unsere Tradition zeitbezogen in Erinnerung zu rufen. Daher will ich im Hirtenbrief zur Fastenzeit 2013 auf drei aktuelle Fragestellungen eingehen: Bestattungskultur, Sterbehilfe und Begleitung von Sterbenden und deren Angehörigen.
Aus verschiedenen historischen Gründen ist das Bestattungswesen in der Schweiz ein Monopol des Staates, das sich heute sich de facto selbst am Abschaffen ist. Im Kontext seiner Entstehung diente es zur „Gleichbehandlung aller, auch im Tod“. Nun bieten aber – durch die gesellschaftlichen Veränderungen bedingt – die Bestattungsämter einen immer grösser werdenden Katalog der Möglichkeiten an. Hier sind die Kirchen gefordert. Die neue Situation bietet ihnen die Chance, die christlichen Werte und Riten in einer eigenen christlichen Bestattungskultur wieder stärker zu pflegen und mit dem Gottesdienst und der Seelsorge für die Trauernden zu verbinden. Die Kirchen sollten eine Kernaufgabe, die ihnen der Staat im 19. Jahrhundert abgenommen hat, in Teilbereichen wieder zurücknehmen.
Zur Bestattungskultur
Gemäss unserer katholischen Glaubenstradition ist die Kirche die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Beide Teile unterscheiden sich nur darin, dass die einen noch hier im Jetzt leben und die anderen bereits bei Gott in der Ewigkeit. Aus diesem Grunde waren früher auch die Friedhöfe – wenn immer möglich – um die Kirche herum gelegen. Die Gottesdienstbesucher/innen gingen nachher auf den Friedhof zu ihren Angehörigen. Dies ist heute leider an vielen Orten nicht mehr möglich.
Viel wichtiger als die direkte Verbindung von Kirche und Friedhof scheint mir aber die Bestattung als solche zu sein (ob im Sarg oder in der Urne) und zwar an einem bleibenden Ort und mit Namen. Eine Zerstreuung der Asche in der Natur (Wald, Berg, Meer, Fluss usw.) oder anonyme Grabfelder oder die Urnenaufbewahrung zu Hause entsprechen m. E. nicht der christlichen Tradition. Jeder Mensch ist nach biblischem Verständnis einmalig und ein Ebenbild Gottes mit Namen, der im „Buche des Lebens“ (Philipperbrief 4,3) aufgeschrieben ist. Und in Jesaja 43,1 heisst es: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mir.“
Der bleibende Ort gründet in der christlichen Auferstehungshoffnung vom Jüngsten Tag, wenn diese Welt zu Ende gehen und Gott alle aus ihren Gräbern rufen (Ezechiel 37) und die Einheit von Seele und Leib in anderen Kategorien (nicht nach unseren) wieder herstellen wird. Der Apostel Paulus drückt dies im 1. Korintherbrief 15, 44 so aus: „Gesät wird ein natürlicher Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib.“ Dieser Grundpfeiler des christlichen Glaubens ist nicht als Widerspruch zu anderen biblischen Stellen zu verstehen, die davon ausgehen, dass die Seele oder der Geist eines verstorbenen Mitmenschen zu Gott direkt in den Himmel gehen (vgl. Lukas 9,30ff.) Beides gehört als Geheimnis zusammen. Die eigentlich christliche Jenseitsvorstellung ist aber nicht das unaufhörliche Weiterleben der Seele, sondern der neue, auferstandene Mensch in Gemeinschaft mit Gott.
Natürlich ist mir bewusst, dass der christliche Glaube an die Auferstehung im Hinblick auf die Barmherzigkeit und die Allmacht Gottes generell und in Ausnahmefällen, wie z.B. bei Naturkatastrophen, auch ohne Fixierung auf Ort und Name auskommen kann. Aber der Normalfall macht Sinn im Hinblick auf die Kirche als Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Es geht um ein gesamtheitliches Tun, das punktuellen individuellen Wünschen übergeordnet ist, wenn sich jemand zur Gemeinschaft der Kirche bekennt. Hierhin gehört auch das Thema der „stillen Bestattung“. Wie Taufe und Hochzeit ist die Bestattung eines Mitgliedes eine öffentliche Angelegenheit. Die „stille Bestattung“ stösst oft Bekannte und Nachbarn vor den Kopf. Geht es doch um eine wichtige Veränderung im Zusammenleben mit der christlichen Gemeinde! Und auch gerade dort, wo Verwandte fehlen, kann die Kirchgemeinde durch ihre Präsenz einen wichtigen Dienst der Nächstenliebe bekunden, in dem sie den Verstorbenen „die letzte Ehre erweist“. Dennoch ist der freie Willensentscheid des Verstorbenen und seiner Angehörigen hinsichtlich Bestattungsart zu achten.
Daher kommt auch den Riten in unserem Gebet- und Gesangbuch (CG 274 bis 283) eine Bedeutung zu. Hier möchte ich nur die wichtigsten im Kontext der Bestattung (gleichgültig ob in der Pfarrkirche oder in der Abdankungshalle oder in der Friedhofskapelle) hervorheben:
Das Verkündigen der Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu und das seelsorgerliche Begleiten durch die Kirche bzw. die Kirchgemeinde hören mit der Bestattung nicht auf. Ist die Kirche doch – wie bereits gesagt – die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Dies möchte ich aber im letzten Kapitel „Begleitung von Sterbenden und ihren Angehörigen“ näher behandeln. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass eine christkatholische Bestattung nur möglich ist, wenn der verstorbene Mitmensch Mitglied der christkatholischen Kirche ist oder im Ausnahmefall die engsten Angehörigen.
Wenn das kirchliche Begräbnis vorüber ist, begleitet die Kirche bzw. die Kirchgemeinde die Angehörigen mit ihrer Seelsorge und mit ihrer Liturgie weiter. Es geht hier um die Wahrung des eigenen Profils gegenüber säkularen Entwicklungen. Dabei scheint heute das so genannte Kolumbarium an Bedeutung zu gewinnen. Kolumbarien gab es bereits im antiken Rom. In Reihen und übereinander legte man Grabkammern für Urnen an. Wegen der äusserlichen Ähnlichkeit nannte man diese Grabstätten „Columbarium“, was ursprünglich „Taubenschlag“ bedeutete. Da sich ab dem frühen Mittelalter die Erdbestattung für das christianisierte Europa durchsetzte und die Leichenverbrennung und damit auch die Urnenbestattung verboten war, gibt es Kolumbarien im deutschsprachigen Raum erst wieder ab 1892; meistens in Form von Urnenwänden auf öffentlichen Friedhöfen. Nun sind in den letzten 10 Jahren in Deutschland in altkatholischen, römisch-katholischen und evangelischen Kirchen, die nicht mehr gebraucht wurden, Kolumbarien eingerichtet worden. Teilweise sogar verbunden mit einer weiteren gottesdienstlichen Nutzung; also Urnenfriedhof und Gottesdienststätte. Mittlerweile hat diese Diskussion auch auf die Schweiz übergegriffen, insbesondere im Kanton Basel-Stadt. Die Gesellschaft ändert sich. Wir sollten prüfen, ob diese alte und neue Form der Bestattung nicht sowohl viele Wünsche und Ängste heutiger Menschen ernst nimmt (Wer pflegt mein Grab? Wer besucht es?) als auch eine Verbindung zu alten christlichen Anfängen und Anliegen darstellt.
Begräbnisstätten sind als Orte der Erinnerung und des Gebetes eine grosse Hilfe für den Trauerprozess und den Kontakt mit den verstorbenen Angehörigen. Christinnen und Christen gedenken der Toten, weil diese leben, nicht damit diese leben!
Kirchliche Kolumbarien – vor allem in Städten – können einen wichtigen Beitrag leisten, in dem sie einen würdevollen Umgang mit den Toten zeigen und zugleich Ort der Ruhe, Besinnung, Erholung für die Lebenden und das gottesdienstliche Feiern sind.
Zur Sterbehilfe
Viele Menschen wünschen sich heute einen Tod ohne Leidenszeit. Auch wenn ich die Beweggründe verstehe – nämlich autonom zu leben und wenn dies nicht mehr möglich ist, schmerzfrei in Würde sterben zu können -, kann ich Sterbewillige dabei aber nicht aktiv unterstützen, sondern nur passiv begleiten.
Dennoch gilt auch, wie schon anderen Orts ausgeführt: Die Christkatholische Kirche hat immer grössten Wert auf Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit als Ausdruck der Würde des Menschen gelegt. Dazu gehört, dass man ihm verantwortliches Handeln zutraut und ihm nicht Entscheidungen abnimmt, für die er vor sich selbst und vor Gott einstehen muss.
Aus biblisch-theologischer Sicht ist es klar, dass Gott allein Herr über Leben und Tod ist. Aus diesem Grund ist das Leben in seiner Gesamtheit schützenswert. Aus der Sicht der Seelsorge ist aber Verständnis gegenüber den betroffenen Menschen angebracht. Seelsorger, Ärzte und andere Bezugspersonen können und müssen eine sterbewillige Person auf ihrem Weg zu einer Entscheidung begleiten und ihr die möglichen Alternativen zu einem Suizid (Freitod) aufzeigen. Im Vordergrund steht dabei die Befähigung der begleiteten Person zu einer selbstverantwortlichen Lebensführung, Entscheidungsfindung und Konfliktbewältigung. Im bestmöglichen Fall wird sie ihr Leben durch die Begleitung als Geschenk Gottes wahrnehmen lernen und auch in der tiefsten Krise als wertvoll annehmen und aushalten. Hier sei deshalb ausdrücklich auf die Alternative „Palliative Care“ hingewiesen: medizinisch geschützt und seelsorgerlich behütet. Und ich würde noch hinzufügen: im und mit dem Gebet behütet und geschützt.
Letztlich soll Begleitung aber auch bedeuten, die sterbewillige Person in Respekt und Achtung anzunehmen, wenn sie sich für die Beendung ihres Lebens entscheidet.
Bedeutsam und im christlichen Sinne sind die empathische und die spirituelle Begleitung leidender und sterbender Menschen und deren Angehörigen.
Begleitung von Sterbenden und deren Angehörigen
Die Aufforderung Jesu „Lass die Toten ihre Toten begraben“ beim Evangelisten Matthäus (8,22) wird von vielen missverstanden. Sie beinhaltet nicht, sich mit den Themen Sterben, Tod und Bestattung nicht auseinander zu setzen. Sondern sie meint ein bewusstes Leben in der Gegenwart, das sich nicht von irgendwelchen Schatten der Vergangenheit beherrschen lässt. Und deshalb ist es auch für Christinnen und Christen nicht egal, wie sie unter normalen Umständen, die sie mitbestimmen können, im Todesfalle begleitet und bestattet werden. Denn „Sterbende“ sind ja noch „Lebende“. Vielmehr drückt sich darin der ganzheitliche Glaube an Jesus Christus aus. Die Sorge um Sterbende, Verstorbene und deren Angehörige ist eine Aufgabe jeder Kirchgemeinde und genauso wichtig wie Taufen, Hochzeiten usw. Jeder einzelne sterbende Mensch ist ein einzigartiges Geschöpf Gottes, welches seinen Lebensweg zu Ende geht. Das darf auch beim Abschied nehmen zum Ausdruck kommen. Wir alle sollten uns die Zeit nehmen, mit ihm und seinen Angehörigen diesen Weg zu Ende zu gehen.
Am Wichtigsten ist die stetige Begleitung der Schwerkranken und Sterbenden: Besuche und Seelsorge zu Hause und im Spital, die Krankenkommunion als Wegzehrung und die stärkende Krankensalbung als Zeichen der Liebe und Zuneigung Gottes. Wenn der irdische Weg seinem Ende zugeht, ist die direkte Sterbebegleitung gefordert (CG 275: Worte zur Sterbebegleitung), die sehr anspruchsvoll ist. Weil der Tod in unserer Gesellschaft kein Thema ist, fällt es vielen schwer, darüber zu sprechen. Unsere „Spassgesellschaft“ hat für den Tod keinen Platz und verbannt ihn in Spitäler und Pflegeheime. Selbst im Angesicht des Todes sehen wir uns ausserstande, den Tod beim Namen zu nennen. Das gilt für Sterbende wie auch ihre Angehörigen. Aus Liebe und Rücksicht sind sie im offenen Gespräch blockiert. Es scheint so, als sehen viele Menschen heute im Tod nur eine Krankheit, die irgendwann auch überwunden werden kann. Den Tod zu verdrängen, ist verhängnisvoll, denn er ist ein Teil unserer menschlichen Existenz. Im christlichen Idealfall sollte der Sterbende zu seinen Angehörigen sagen können: „Ich habe gelebt und gehe nun zu Gott, dorthin zurück, woher ich gekommen bin und danke euch für die gemeinsame Zeit hier und freue mich auf ein Wiedersehen in der Neuen Welt.“ Für die Angehörigen ist Unnahbarkeit eines Schwerkranken und Sterbenden sehr schwierig. Trotzdem sollten sie einfach da sein, in der Hoffnung, dass doch noch ein Gespräch möglich wird. Bzw. sind ja Schwerkranke und Sterbende nicht per se unnahbar, oft ist es auch die „Aura“ des Unbegreiflichen, die die Angehörigen blockiert. Hier sehe ich die kirchliche Begleitung und Seelsorge als Auftrag, eine Brücke zu bauen zwischen dem Sterbenden und seinen Angehörigen, zwischen dem Sterbenden und Gott, zwischen den Angehörigen und Gott. Das braucht viel Zeit und Einfühlungsvermögen. Aber wenn Kirche heute keine Zeit mehr hat, wer soll sie dann noch haben? Das ist mit eine ihrer Kernaufgaben. Sie hat die Zeit für die Menschen, die sie brauchen. Dazu gehört vielleicht auch eine neue Hinführung zu christlichen Riten, die Sterbenden und ihren Angehörigen in der allgemeinen Säkularisierung und Distanz zu den Kirchen fremd geworden sind. Früher war es zum Beispiel üblich, dass die Angehörigen den Verstorbenen selber wuschen und ihm neue Kleider anzogen oder zumindest dabei anwesend waren. Denn das Berühren des Toten ist ein wichtiger Bestandteil des Abschiednehmens, ebenso wie das Besuchen der Verstorbenen in der Leichen- bzw. Aufbahrungshalle, mit und ohne Begleitung des Geistlichen. Dabei sollte keine falsche Rücksicht auf Kinder und Jugendliche genommen werden, die oft natürlicher mit dem Tod umgehen als Erwachsene annehmen. Auch Kinder und Jugendliche sollen trauern und sich stimmig verabschieden können.
Die Verkündigung der christlichen Botschaft von Tod und Auferstehung ist Grundauftrag der Kirche in allen Dimensionen des Lebens. Dies bringen Christinnen und Christen auch durch die Weise zum Ausdruck, wie sie mit Sterben und Tod und den Toten selbst umgehen. So wie es auch in unserem Eucharistiegebet heisst: „Den Tod des Herrn verkünden wir, und seine Auferstehung preisen wir, bis er kommt in Herrlichkeit.“
Bern, in der Fastenzeit 2013
Bischof Dr. Harald Rein