Verbindlichkeit & Freiheit

Grundidee

Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Der Glaube an Jesus Christus ist Befreiung: Deshalb muss auch die Kirche der Freiheit der Menschen dienen und sie fördern. Menschliche Freiheit ist aber kein Laissez-faire. Die Menschen – und die Kirche – sind von Gott in die Pflicht genommen:
Sie sind herausgefordert, sich den gemeinsamen Glauben stets neu anzueignen und sich für die freie Entfaltung aller Talente einzusetzen.

«Im Notwendigen Einheit, in Zweifelsfragen Freiheit, in allem die Liebe.»

Markantun de Dominis

1560 – 1624

Dieser Grundsatz steht für den Religionsfrieden: Wenn man sich über die zentralen Fragen des Glaubens verständigt, kann es in vielen nachgeordneten Fragen Freiheit und unterschiedliche Meinungen geben. Er steht über der Verfassung der Christkatho- lischen Kirche der Schweiz. Dem gleichen Gedanken folgt das Bonner Abkommen 1931, das die Gemeinschaft mit der anglika- nischen Kirchengemeinschaft besiegelt: jede der beiden Kirchen glaubt, «die andere halte alles Wesentliche des christlichen Glaubens fest». Die Einheit im Wesentlichen ermöglicht Vielfalt im Einzelnen.

Erste Verfassung der Christkatholischen Kirche der Schweiz 1875

Damals

Der frühe Christkatholizismus war politisch: Vor den ersten Kirchgemeinden gab es «Vereine Freisinniger Katholiken».
Viele der frühen Träger*innen der christkatholischen Bewegung entstammten dem gehobenen Bürgertum. Die Freiheit, die Gesellschaft mitzugestalten, schätzten sie als hohes Gut. Der Aargauer Regierungsrat Augustin Keller, der Berner Jurist Walther Munzinger, der Schönenwerder Schuhfabrikant Carl Franz Bally und der Oltner Verleger Peter Dietschi hatten eines gemeinsam: Sie liessen sich nicht gern Vorschriften machen.

Als Glaubensbewegung musste der Christkatholizismus auch verbindliche Leitlinien haben. Am «Oltner Tag» vom 1. Dezember 1872 hielt der spätere deutsche Bischof Joseph Hubert Reinkens einen Vortrag. Er forderte die freisinnigen Katholiken auf, die Grundlagen der Kirche wiederherzustellen, die durch die Papstdogmen erschüttert worden waren. Damit bekam die politische Bewegung ein kirchliches Gesicht.

«Geben Sie dem Volk eine religiöse Direktive, sonst gibt es kirchlich ein Chaos.»

Walther Munzinger an Joseph Hubert Reinkens

Joseph Hubert Reinkens,
ab 1873 Bischof der altkatholischen Kirche Deutschlands

Heute

Die christkatholische Kirche kennt kein ausgefeiltes Kirchenrecht. Die Leitlinien für das Miteinander zeigen sich in der Liturgie. In der Taufliturgie werden menschliche Grundrechte und Aufgaben thematisiert. Das Pflichtenheft der Geistlichen ist die Weihe- liturgie. Die Regeln der Gemeinschaft widerspiegeln sich in der sonntäglichen Eucharistiefeier.

Kein Buch kann alle Situationen voraussehen

Die liturgischen Texte fordern heraus und sind gleichzeitig Einladung zur Reflexion. Niemand kann die Gemeinde von der Verantwortung entbinden, das Leben nach den Bedürfnissen der Menschen am Ort zu gestalten. Im christkatholischen Verständnis ist die Kirchgemeinde autonom und gleichzeitig eingebunden ins Bistum. Das ist keine Frage der Macht, sondern der Solidarität, der Selbstverpflichtung und des verbindlichen Miteinanders. Alle sind in die Pflicht genommen, das Ihre zum Gelingen der kirch- lichen Gemeinschaft beizutragen.

Bischofsweihe von Harald Rein am 12. September 2009
in der Augustinerkirche Zürich