Tradition & Erneuerung

Grundidee

Kirche ist eine Überlieferungsgemeinschaft. Sie entsteht nicht aus dem Nichts, sondern steht in einem Traditionsstrom und schöpft aus der Vergangenheit. Die christkatholische Kirche weiss aber, dass die Überlieferung ihre Brüche hat. Es geht nicht einfach kontinuierlich weiter, sondern es tauchen neue Fragen auf, die neue Antworten erfordern. Und so mancher Weg der Vergangenheit kann sich später als Irrweg erweisen.

«Wir halten fest an dem, was überall, was immer, was von allen geglaubt worden ist.»

Vinzenz von Lérins

5. Jahrhundert

Der Kirchenvater Vinzenz von Lérins nennt drei Kriterien für das, was rechtgläubig ist:

Konsens der Gegenwart

Was überall und nicht nur an einem Ort geglaubt wird.

Tradition

Was immer geglaubt worden ist.

Mainstream

Was von (fast) allen geglaubt worden ist.

Bei aller Wertschätzung der Tradition: Da die Zeugen der Vergangenheit tot sind, können sie sich keinen neuen Herausfor- derungen stellen. Wir schon – wir müssen es sogar. Dabei können wir nicht nur auf die gängige Meinung hören. Kirchliche Erneue- rung ist oft von einzelnen prophetischen Stimmen angestossen worden.

Der Spleen von heute kann der Mainstream von morgen sein.

Damals

Die Dogmen von der universalen Macht des Papstes und seiner Unfehlbarkeit in der Lehre sind Neuerungen – davon waren die Alt-Katholiken überzeugt und wählten deshalb in Deutschland und Österreich diesen Namen. Für sie war es die «Pflicht jedes katholi- schen Christen am alten Glauben festzuhalten und jede Neuerung, würde sie auch von einem Engel des Herrn verkündet, abzuweisen».

Man hat eine neue Kirche gemacht!

Ignaz von Döllinger

Tradition als Reformprogramm

Wenn wir schon eine eigene Kirche aufbauen, dann ändern wir gleich all das, was uns schon immer nicht gepasst hat – mit dieser Haltung ging die Christkatholische Kirche der Schweiz an Reformen heran:

Ehe für Geistliche
Einzelbeichte freiwillig
Volkssprache im Gottesdienst
Partizipation der Laien und Einschränkung der Macht des Bischofs

Darum stand ganz besonders die Schweizer Kirche Ende des 19. Jahrhunderts im Ruf, ein Haufen Revoluzzer zu sein, welche die Tradition über Bord werfen. Die Christkatholik*innen selbst sahen das anders: Viele dieser Reformen waren Rückkehr zum Ursprüng- lichen. Die Tradition war ihr Reformprogramm.

Heute

Der Diakonat für Männer und Frauen ist in der Alten Kirche bezeugt. Die christkatholische Kirche hat dieses Amt wiederbelebt; 1984 wurde die erste Christkatholikin zur Diakonin geweiht.
Die Öffnung des Priester- und Bischofsamtes für Frauen benötigte mehr Zeit.

Jesus war ein Mann

Für die christkatholische Kirche ist dies das beste Argument für die Zulassung von Frauen zum dreifachen apostolischen Amt: Indem Jesus Christus das volle Menschsein angenommen hat, ist in ihm die ganze Menschheit, Mann und Frau, erlöst. Diese Botschaft ist aber unglaubwürdig, wenn das kirchliche Amt den Männern vorbehalten bleibt. Dies war 1999 die zentrale Überlegung, als die christkatholische Kirche die Frauenordination eingeführt hat – Transmenschen, intergeschlechtliche und non-binäre Menschen waren 1999 noch nicht im Blick.

Erneuerung im Fluss

  • 2018: Christkatholische Jugend fordert zur Diskussion der «Ehe für alle» auf.
  • 2019: Nationalsynode begrüsst die zivilrechtliche Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.
  • 2020: Sondersynode zur sakramentalen Dimension der Ehe für alle, mit Konsultativabstimmung pro Ehesakrament für gleichgeschlechtliche Paare.
  • 2021: Hirtenbrief des Bischofs fordert vertiefte theologische Reflexion, gestützt auf Schrift und Tradition.
  • 2022–2026: Die Wanderausstellung ist unter- wegs. Die Christkatholische Kirche der Schweiz ist unterwegs.

Wir erleben die Spannung zwischen Tradition und Erneuerung live.


«Was nicht angenommen ist, ist nicht erlöst.»

Gregor von Nazianz

Ep 101,32

Tradition & Erneuerung

Ergänzungen zu diesem Thema