Auch wenn es rundherum hämmert, das Quietschen des Trams durchs Fenster klingt, Gruppen durcheinander reden, jemand mit dem Staubsauger im Gang hantiert und die Kirchenglocken den Angelus anstimmen: Pfarrer Frank Bangerter hört jedem Besucher in aufmerksamer Ruhe zu, bald ist nichts mehr vom Wirbel im Pfarrhaus zu spüren. Jetzt sind meine Anliegen, jetzt bin ich wichtig – ein Knopf kann gelöst, Neues entdeckt, das fehlende Puzzlestück gefunden werden.
Niklas Raggenbass: Frank Bangerter, was bedeutet dir dein Vorname?
Frank Bangerter: Vor langer Zeit fragte ich meine Eltern, weshalb sie denn für mich den Namen «Frank» ausgesucht hätten. Sie sagten, der Name habe ihnen einfach gefallen. Ich verbinde ihn mit zwei Worten: «Frank und frei»! Das bedeutet, dass jemand offen, ehrlich und geradeheraus ist, nicht um den heissen Brei herumredet und auch nicht «hinedüre», was ich ganz schlimm finde. Dann hat mir einmal jemand gesagt, Frank käme vom heiligen Franziskus. Franziskus führte ein spannendes Leben. Dass er wohlbehütet aufgewachsen ist, eine gute Ausbildung bekam, durch ein Erlebnis und einen Traum seinen Weg fand und eine Ordensgemeinschaft gründete, hat mich sehr beeindruckt. Er war auch während meinem Vikariat immer wieder ein Thema, so dass ein Kirchgemeindeglied mir zur Priesterweihe eine Ikone schrieb, auf der Franziskus dargestellt ist, wie er den Vögeln predigt. Die Ikone steht noch heute auf meinem Schreibtisch. Und dann kann man an «Frank» ein -en anhängen, womit eine dritte Bedeutung entsteht.
Zu Franken in Deutschland?
Nein, zu unserer Währung, dem Schweizer Franken. Es ist der Bezug zum Materiellen, zum Wirtschaftlichen, was für mich ja auch ein Teil meiner Ganzheit ist. Es ist meine Erdung. Ich studierte zuerst Wirtschaft und habe in diesem Bereich zehn Jahre gearbeitet. Ich habe daher keine Probleme, über Wirtschaftliches und Finanzielles zu sprechen.
Aber wie bist du denn zur Theologie gekommen?
Es gibt Geistliche, die hatten ein Berufungserlebnis. Davon kann ich nicht berichten. Allerdings bin ich schon als Kind gerne in jede Kirche gegangen, an der wir vorbeigekommen sind. Es klingt seltsam, aber wenn ich in eine Kirche hineinging, hatte ich das Gefühl, heimzukommen. So bin ich, als ich Kind war, in Bern in die Kirche St. Peter und Paul gegangen und fühlte mich dort wohl, obwohl ich damals noch gar keine Beziehung zur Christkatholischen Kirche hatte. Ich wurde zunächst reformiert konfirmiert, habe im «Affenkasten», dem Wirtschaftsgymnasium in Biel, die Matura gemacht und wollte dann Medizin studieren: Hausarzt sein, das wäre mein Traum gewesen. Ich merkte dann aber, dass ich lieber Wirtschaft studieren wollte. Es war toll, dass ich in diesem Lehrgang «personalorientierte Betriebswirtschaft» studieren konnte, alles, was mit Personalwesen, also mit Menschen, zu tun hat. Dazu gehörten Entwicklungs-, Führungs- und Ausbildungsfragen. Ich arbeitete an verschiedenen Stellen, wo es auch oft um Zahlen ging. Plötzlich musste ich mir eingestehen: «Nei, das chas nid sy!» Das war wie ein Weckruf, und ich musste lernen, nur noch das zu machen, was ich in meinem Innersten spüre. Ich erhielt eine Stelle als Assistent der Geschäftsleitung der «Aids Info Docu Schweiz», welche dann auch für sexuell übertragbare Krankheiten erweitert wurde. Da waren das Sterben und der Tod ganz nahe beieinander.
Also wieder extreme Lebensthemen?
Es wurde so extrem, dass ich «Hunger» bekam, wieder etwas zu lernen und an die Uni zu gehen. Ich entschloss mich, bei Prof. Dr. habil. Ursula Streckeisen in der Thanatologie – der Sterbeforschung – eine Arbeit zu schreiben. Dann ging mir der Knopf auf, denn ich merkte, dass es immer wieder Glaubensfragen waren, die mich beschäftigten. Ich habe mich radikal zu einer Wende entschlossen: «Ok, ich mache ein Vollstudium Theologie.» Und so ist es gekommen, dass ich mich in Bern an der Theologischen Fakultät einschrieb, wo ich Prof. Dr. Urs von Arx kennenlernte, der mich mit der Christkatholischen Theologie vertraut machte. Er riet mir, zuerst bei den Reformierten ein Praktikum zu absolvieren und dann in Christkatholischer Theologie das Studium abzuschliessen.
Wie ging das?
Während dreier Monate konnte ich in der reformierten Kirche in Signau alles mitmachen, was es in einer Kirchgemeinde gibt. So nahm mich eine Katechetin auch mit in den Religionsunterricht. Die Katechetin wollte, dass die Kinder die Kirche kennenlernten. Sie verteilte Fotos von verschiedenen Stellen der Kirche und gab den Auftrag, herauszufinden, wo das in der Kirche ist. In einem wilden Tohuwabohu sind die Kinder herumgerannt, die Orte zu suchen. Ich sagte der Katechetin, dass ich gespannt sei, wie wir die Kinder in den «heiligen Raum» zurückholen könnten. Mit einer wegwischenden Bewegung antwortete sie: «Was ist hier heilig?» Da bin ich zusammengezuckt, fast wie vom Blitz getroffen und wusste: «So ist es für mich nicht!» Alles ist mir doch heilig, und mir wurde absolut klar, dass ich vom Herzen her schon immer christkatholisch war. Diese Erfahrung hat es jetzt gebraucht. Vielleicht war das mein Berufungserlebnis…
Und dann als Bischof: Was kannst du vom Bischof einfordern – ohne ihn zu überfordern?
Erst einmal: Nur gemeinsam. Wir brauchen alle, zum Mitmachen. Der Bischof kann zwar Ideen haben, aber allein eine Idee zu haben, das reicht nicht. Wir sind synodal verfasst, und Bischof und synodal, auch das geht nur miteinander. Hier ist der Bischof eine integrierende Persönlichkeit. Er ist sicher auch ein Symbol, ein Zeichen, er ist kein CEO einer Unternehmung, und hätte sie auch Milliardenumsätze. Der Bischof steht für etwas, das man mit Zahlen nicht aufwägen kann. Er steht für das Geistliche, für den Zusammenhalt von verschiedenen Menschen in den verschiedenen Gemeinden. Da ist es wichtig, dass er diese kennt. Eine Grundaufgabe aber ist, dass er in Beziehung steht und Beziehungen schafft. Dabei hat er auch eine nicht unbedeutende Vorbildfunktion. Der Bischof bleibt ein Seelsorger, von dem man hofft, dass er im Bistum spürbar und mit seinem Herzen da ist. Speziell in der Situation, in der wir uns jetzt bewegen, hat alles andere hintanzustehen. Wir stehen vor grossen Herausforderungen.
Hast Du für diese Zukunftsaufgabe eine Vision?
Aufgabe und Vision sind klar: Wir sind Kirche und Jesus Christus hat uns die Aufgabe gegeben, das Evangelium zu verkünden. Die Frage ist, in welcher Form ich dies heute machen kann, mit welchen Instrumenten ich anpacke und mit welchen Worten ich verkündige. Jesus hat ja für die Ewigkeit gesprochen, daher lassen sich seine Beispiele immer wieder in die jeweilige Lebenswelt hinein übersetzen. Doch es ist nicht einfach klar, wie man das macht, und es kann Streit geben. Der eine meint’s ganz progressiv, der andere ist lieber traditionalistisch unterwegs. Der Auftrag ist aber dennoch einfach; wir müssen da nichts erfinden. Bis wir uns einigen können, dauert es je nach dem eine Weile, aber es bleibt dabei und lässt sich nicht umdeuten: Unsere Aufgabe ist es, das Evangelium zu verkünden. Genau das ist auch unsere Existenzberechtigung. Wenn wir damit aufhören, dann gibt es uns nicht mehr, und dann braucht es uns auch nicht mehr. Wir können dann mit dem Geld, das wir noch haben, eine soziale Institution einrichten.
Und konkret?
Wir müssen uns zum Beispiel überlegen, wie wir aus den «Kirchgemeinden in Not» die «Kirchgemeinden im Aufbruch» machen und ihnen die notwendigen Impulse dafür geben. Manche Gemeinden bluten langsam aus, es lassen sich gar keine Gottesdienste mehr feiern, weil die Leute nicht mehr da sind. Es ist unglaublich traurig, wie einzelne Gemeinden unfreiwillig dahinserbeln. Das ist brutal. Wie können wir diesen Aufbruch gestalten, wenn auch die Finanzen geringer werden? Wie gehen wir damit um? Darin haben wir im Bistum Vorbilder. Mehrere Kirchgemeinden haben auf freiwilliger Ebene versucht, Zusammenschlüsse zu gestalten. So bekommen sie wieder Power, es wird wieder interessanter, miteinander unterwegs zu sein, man bekommt Lust, sich selber einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen also sehen, dass unsere Regionen kräftiger werden und wieder «Speck am Knochen» ist, sonst wird das Ganze «zerfleddern». Eine andere Schiene ist, dass es immer weniger Geistliche gibt. Auch wenn unsere Kirchgemeinden sich zu fünf bis sechs Regionen zusammenschliessen sollten, aber keine Geistlichen mehr da sind, dann müssen wir heute, jetzt, unbedingt vorsehen, dass unsere Laien in die Verantwortung einbezogen werden. Wir alle haben Teil an dem einen Priesteramt. Ich frage mich schon, ob wir nicht sehr viel brach liegen lassen. Wir haben viele gute Leute, und wir müssen beweglicher werden. Unser christkatholisches Institut könnte zu den Gemeinden gehen und fragen: «Was braucht ihr?» Wir sollten uns gegenseitig bestärken, auch aussergewöhnliche, vielleicht «ver-rückte», Wege zu gehen, um nicht an den Strukturen zu zerbrechen. Ideen haben wir, anpacken können wir – es fehlt nur noch, dass wir uns gegenseitig Mut machen, an die Liebe zu glauben, die Gott ist und die er uns gibt: Nicht Requiem, sondern Ostern: Halleluja!
Das Interview führte Niklas Raggenbass