Kiental, am Eidg. Dank-, Buss- und Bettag 2021
Lieber Bischof Eduard Herzog
Es freut mich, dass ich eine Antwort auf Ihren Hirtenbrief zur Fastenzeit von 1895 schreiben darf. Die Freude liegt darin begründet, dass Sie, der erste Bischof unserer Kirche, ein Luzerner waren. Auch ich bin im Kanton Luzern aufgewachsen, und es gäbe da noch weitere Parallelen, die sich aufzählen liessen. Doch eine Parallele wird sich ganz sicher nie ereignen: Dass ich irgendwann einen Hirtenbrief werde verfassen müssen. Gott sei Dank!
Ich bin beeindruckt, wie Sie auf das apostolische Schreiben von Papst Leo XIII. zur Frage der christlichen Einheit reagieren. Ich lese Ihren Hirtenbrief nicht als kämpferische Reaktion oder als Angriff, sondern vielmehr als eine Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Kirche, das alle Menschen miteinschliesst, begleitet und unterstützt. Sie entfalten in Ihrem Hirtenbrief ein Verständnis, das mir nicht fremd ist. Dazu gehört, die Kirche als Raum zu verstehen im Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft. Mich berührt Ihre Aussage: „Dann würden die Schwachen in der Zugehörigkeit zu der ganzen grossen Gemeinschaft einen kräftigen Halt haben, der sie niemals wankend werden liesse.“
Diese Worte wurzeln für mich in einem Kirchenverständnis, das sich der Vielfalt von Lebensgestaltungen bewusst ist, und es zeigt sich darin ein Zugeständnis von Freiheit. Kirche sein bedeutet, dass sich mein Fühlen und Denken mit allen Fragen, Unsicherheiten oder Zweifeln entfalten darf, die Kirche einfach als natürlicher Ort, in dem alle „in teilnehmender Liebe auf einander achten, einander dienen, einander helfen.“ Kurzum: Kirche als Lebensort für alle. Ein solcher Ort ist nur möglich, weil kein irdischer Würdenträger Hirte aller sein muss, sondern der Hirte aller Christus ist. Dies bedeutet Freiheit und gelebte weitherzig Liebe, wie Sie schreiben. Sie erinnern mich aber auch daran, diese Liebe in meinem Leben zu pflegen. Einfach eine Liebe für alle, begründet in Christus. Eine Liebe, die den Weg zum Frieden weist im freiheitlichen Miteinander.
Doch gerade dieser Auftrag, lieber Bischof Eduard Herzog, hält mir meine ganz persönliche alltägliche Wirklichkeit vor Augen. Ich gebe es zu. Ich kann dieses Miteinander nicht mit allen Menschen leben. Da komme ich an meine Grenzen. Der Gedanke, wie Frieden und Kirche sich manifestieren, ist für mich nachvollziehbar, in sich stimmig und löst in mir ein Heimat stiftendes Gefühl aus. Dies macht meines Erachtens die Kirche Jesu Christi aus: Ein Ort der friedlichen Heimat für alle. Doch es gibt Menschen in meinem Umfeld, da gelingt mir die Umsetzung der Gedanken von Kirche und Frieden schlichtweg nicht. Da kann ich das liebende und friedliche Miteinander nicht leben. Da erlebe ich das Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft in der Wirklichkeit des Alltages. In diesen Situationen verliere ich meinen inneren Frieden. Ich grenze ab und schliesse aus. Und ich reagiere ab und zu wie unsere beiden Haushunde Quen und Unix, wenn sie das Gegenüber nicht riechen mögen: lautstark bellend.
Wie haben Sie es bloss geschafft, in der Wirklichkeit des Alltages in Kirche und Gesellschaft den inneren Frieden und das liebende Miteinander zu erhalten, zu bewahren und vor allem zu leben? Ich freue mich auf Ihre Antwort – irgendwann einmal! – im Lesen und in der Auseinandersetzung mit Ihren Gedanken, die unter anderem in den Hirtenbriefen überliefert sind.
Aus dem Berner Oberland grüsse ich Sie in aufrichtiger Verbundenheit
Patrick Blickenstorfer