Pfarrer Ludwig Meier
(Quelle: ZVg)

Die Safenwiler Affäre

Die Safenwiler Affäre von 1928 bis 1930. Ein mehrschichtiger Konflikt und Spätfolgen des Wirkens von Karl Barth. Der Synodalrat der Christkatholischen Kirche stellt nach der Affäre fest: «Die Repräsentanten der Kirchgemeinde Aarau haben sich in der Safenwiler Affäre eines Verstosses gegen die altkatholischen Prinzipien der Unionsbestrebungen schuldig gemacht, indem sie der Versuchung erlegen sind, aus politischem Ressentiment und kurzsichtigem Kollektivegoismus die ihnen zukommenden Kompetenzen disziplinwidrig und eigenmächtig zu überschreiten, in Schädigung des Ansehens unserer Kirche und Trübung des inter-konfessionellen Einvernehmens.»

Im aargauischen Dorf Safenwil  wirkte von 1911bis 1921 der bekannte Theologe Karl Barth als Dorfpfarrer. Barth stand der pazifistischen Theologie von Leonhard Ragaz nahe. Dessen Anhänger, die Religiös-Sozialen, vertraten die Forderung , die Kirche habe zu grundsätzlichen Problemen nicht zu schweigen, sondern in der sozialen Auseinandersetzung mutig Partei zu ergreifen, und zwar im Sinne von Jesus zugunsten der Benachteiligten. Als dann Barth 1915 noch der Sozialdemokratischen Partei beitrat und am 1. Mai durch Tragen der roten Fahne vor dem Arbeiterumzug auffiel, wurde er in der Gemeinde endgültig als «Genosse Pfarrer» und Bolschewik wahrgenommen. Er legte sich nicht nur mit den Fabrikanten in Safenwil an, sondern auch mit den Organen der reformierten Landeskirche. Er wandte sich dann allerdings nach dem 1. Weltkrieg vom religiösen Sozialismus ab und sein 1919 erschienener «Römerbrief» verhalf ihm zur Laufbahn als Theologieprofessor. Die Safenwiler atmeten auf, aber es ging nur ein paar Jahre bis ein neuer Pfarrer, Ernst Ott, das Pfarramt übernahm. Bald erkannte man, dass er in die Fuss-Stapfen Barths trat. Das Zofinger-Tagblatt berichtete des öfteren über den «kommunistischen Ragazianer», der die soziale Auslegung der Bibel mit kritischen Äusserungen über den Militärdienst verband, so dass er als untragbarer Anti-Militarist erschien. Als  der freisinnige Grossrat Jakob Lauri im Januar 1929 die Bitte äusserte, Ott – er war Mitglied der sozialdemokratischen Partei – solle doch Angriffe von der Kanzel auf die Arbeitgeber und unser Wehrwesen unterlassen, hielt er im Wissen um die Gefahr von Kirchenaustritten eine Predigt «Über Jesus und die Pfiffigen. Werdet wie die Kinder, denn Alter schützt vor Torheit nicht.» Dies brachte das Fass zum Überlaufen und es bildete sich eine kollektive Austrittsbewegung in der Form eines «Kultusvereins», dessen Mitglieder (138, d.h. ca. 50% der Kirchgemeindeglieder) aus der evangelisch-reformierten Landeskirche austraten und sich unter der Führung des Fabrikanten Max Hochuli der christkatholischen Kirchgemeinde Aarau anschlossen. Allerdings nicht durch Eingemeindung, sondern durch ein eigenmächtig von der Kirchgemeinde Aarau beschlossenes Pastorations-Abkommen v. 15.12.1929. Bereits seit anfangs Januar 1929 hatte nämlich der Pfarrer von Aarau, Ludwig Meier, mit Unterstützung des dortigen Kirchgemeindepräsidenten J. Roos begonnen, regelmässig Gottesdienste in Safenwil zu feiern und die Kinder christkatholisch zu unterrichten. Aarau freute sich über den Zuwachs kräftiger Steuerzahler.

Pfarrer Ludwig Meier
Pfarrer Ludwig Meier (Quelle: ZVg)

Dieses Vorgehen fand ohne vorherige Absprachen mit den christkatholischen Behörden statt: weder mit Bischof Adolf Küry, noch mit dem christkatholischen Synodalrat oder dem Kirchenrat der Landeskirche des Kantons Aargau. Dasselbe galt auf der reformierten Seite, wo der Kirchenstreit erst im Dezember 1929 vor die Synode kam; diese setzte zwar eine Sonderkommission ein, wünschte jedoch die evangelische Freiheit und Gemeindeautonomie nicht anzutasten. Der reformierte Kirchenrat zog sich aus der Affäre, mit der Vermutung, bei Pfr. Ott liege «etwas Krankhaftes» vor.

Auf Seite der Christkatholiken zog die Affäre weitere Kreise, nicht zuletzt wegen des von Pfr. Ott angefachten unterschwelligen antimilitaristischen Diskurses, der von einigen Barth orientierten christkatholischen Geistlichen aus Zürich (Ernst Gaugler, Arnold Gilg, Otto Gilg, Pfr. Gschwind u.a.)  indirekt unterstützt wurde. Sie bedauerten öffentlich, dass Pfr. Meier zur Kollektivkonversion Hand geboten habe (er gab sich als ein persönlicher Freund des Fabrikanten Hochuli), «da es sich doch um eine protestantisch-innerkirchliche Angelegenheit gehandelt habe, welche die Einmischung eines Geistlichen anderer Konfession nicht verträgt».

Die Darstellung des Kirchenstreits von Waldmeier in seiner Geschichte der Kirchgemeinde Aarau (1987) ist deshalb unvollständig und etwas einseitig. Ein Dokument aus dem nationalen Synodalrat hält aus historischer Perspektive fest: «Die Repräsentanten der Kirchgemeinde Aarau haben sich in der Safenwiler Affäre eines Verstosses gegen die altkatholischen Prinzipien der Unionsbestrebungen schuldig gemacht, indem sie der Versuchung erlegen sind, aus politischem Ressentiment und kurzsichtigem Kollektivegoismus die ihnen zukommenden Kompetenzen disziplinwidrig und eigenmächtig zu überschreiten, in Schädigung des Ansehens unserer Kirche und Trübung des inter-konfessionellen Einvernehmens.»

Im Nachinein konnten Bischof und Synodalrat die Affäre beilegen und Safenwil wurde später eingemeindet. Aber es gilt als Lehrstück betr. Vorsicht bei «Missionen» der christkatholischen Kirche; das aktive Abwerben von Gläubigen anderer Landeskirchen ist und bleibt kritisch.

Jürg Hagmann