In seinem Hirtenbrief von 2015 thematisiert Bischof Harald Rein das Thema der Einheit. Er geht von der christlichen Botschaft aus, die in der Welt spürbar sein muss und entsprechend Veränderung im Miteinander ermöglicht. Ökumene setzt für ihn die Bereitschaft der Veränderung voraus. Ökumene besteht nicht nur aus dem Entdecken des Reichtums des anderen um das Eigene besser kennen und verstehen zu lernen, sondern das Eigene um der Einheit willen auch zu verändern. Dies gilt auch innerhalb der christkatholischen Kirche. Er schreibt dazu: „Singuläre, lokale Meinungen und Partikularinteressen verhindern einheitliche Lösungen im Bistum nach innen und schwächen damit unsere Ortskirche in ihrem Auftrag und ihrem Erscheinungsbild nach aussen. “
Person
Harald Rein
Amt
Bischof von 2009 bis 2023
Siegelwort
«Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht.» C. A. von Galen
Lebensdaten
* 01.10.1957 in Bochum
Hinweis zum Bild
Seine Heiligkeit Aram I., Katholikos der Armenisch-Apostolischen Kirche stattete 2018 auf Einladung von Bischof Harald Rein der Christkatholischen Kirche der Schweiz einen Freundschaftsbesuch ab.
An die christkatholischen Kirchgemeinden
Welche Einheit suchen wir?
Welche Einheit wollen wir?
Nach aussen und nach innen
Liebe Schwestern und Brüder,
Die Mission der Kirche in der Geschichte besteht nicht darin, dass möglichst viele Menschen Christen werden, sondern dass die christliche Botschaft in der Welt spürbar wird und diese verändert. Das ist der Heilsplan Gottes für die Welt, der im biblischen Bild des Sauerteiges zum Ausdruck kommt.
Das Neue Testament geht nicht nur von Christinnen und Christen aus, sondern auch von einer real existierenden Kirche. Ihre strukturelle sichtbare Einheit wird wie ihre ideelle unsichtbare als selbstverständlich vorausgesetzt, ohne sie im Hinblick auf spätere Entwicklungen, Fragestellungen und Streitigkeiten „systematisiert“ zu haben.
Als die altkatholischen Kirchen im Kontext der Wirren um das Erste Vatikanische Konzil entstanden, wollten sie keine neue zusätzliche Kirche gründen oder die bisherige Kirche verlassen, sondern dem vorhandenen Glauben treu bleiben. Seit 125 Jahren ist dies das Bekenntnis der altkatholischen Kirchen der Utrechter Union, die sich primär als eine ökumenische Bewegung verstehen, die unermüdlich für die Einheit der Kirche arbeitet.
Sie tut dies vor allem durch bilaterale akademische Dialoge auf Weltebene. Leider ist es bisher viel zu wenig gelungen, den Kirchgemeinden bewusst zu machen, was diese Dialoge für sie theoretisch und vor allem praktisch bedeuten. So wurde bereits 1931 mit der anglikanischen Kirche auf Weltebene eine Kirchengemeinschaft geschlossen; ebenso 1965 mit der Unabhängigen Philippinischen Kirche, der Spanisch-Reformierten Episkopalkirche und der Lusitanischen Katholisch-Apostolischen Kirche von Portugal. In intensiver Dialogarbeit versuchen wir dies auch mit den Orthodoxen Kirchen, mit der Römisch-katholischen Kirche, mit der Kirche von Schweden, mit der Syrischen Malankara Mar Thoma Kirche und mit der Altkatholischen Kirche der Mariaviten in Polen zu verwirklichen. So trug der gemeinsame Hirtenbrief der Bischöfe der Utrechter Union aus Anlass des 125. Geburtstages ihrer Gründung 2014 die Überschrift „Brücken bauen“.
Warum zuerst mit diesen eben genannten Kirchen? Das hängt damit zusammen, dass man die Einheit der Kirche unterschiedlich verstehen kann. Diese Kirchen teilen mit uns ein bestimmtes Verständnis von kirchlicher Einheit, das ich mit „altkirchlich“ bezeichnen möchte. Denn aufgrund unterschiedlicher Interpretationen der Bibel gibt es heute drei Hauptrichtungen / Meinungen / Lehren:
Im Rahmen der ökumenischen Bewegung gibt es heute neben diesen drei verschiedenen Typen grosse Annäherungen im Hinblick auf einen Konsens. Dies zeigt sich vor allem im neueren Arbeitspapier des Weltkirchenrates in Genf „Die Kirche. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision. Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung No. 214, Genf 2012.“
Sichtbare Einheit nach aussen. Und was bedeutet das konkret für die Situation in der Schweiz?
Wir kennen heute im Bereich Computer und Smartphone verschiedene Betriebssysteme, die untereinander nicht kompatibel sind. Ähnlich haben Kirchen Betriebssysteme, die ihre Eigenexistenz begründen und schützen. Durch diese leben sie. Durch diese sind sie entstanden. Diese machen ihren besonderen Reichtum und ihre Identität aus. Gleichzeitig behindern sie die Einheit der Kirche. Jede Kirche hat ihre Ekklesiologie (Kirchenverständnis); sogar dann, wenn sie dies bestreitet. Keine Art von menschlicher Gemeinschaft kann behaupten, sie habe keine soziologische Struktur und Annahmen a priori, die ihre Existenz rechtfertigen. Kirchen sind primär getrennt wegen „Kirchenverfassungen“ und „liturgischen Traditionen“, nicht wegen Christus, Trinität und Sinnfragen des Lebens; neuerdings aber auch wegen ethischen Fragen im Bereiche Ehe und Familie.
Wenn nun Kirchen nach dem altkirchlichen Einheitsmodell aufgrund eines Dialoges miteinander „Kirchengemeinschaft“ schliessen, ergibt sich die Verpflichtung über „strukturelle Konsequenzen“ nachzudenken und zu verhandeln, wenn die Kirchen sich territorial überschneiden. Dann sind zwei Synoden und zwei Bischöfe jeweils eine/r zu viel; auch wenn auf Ebene der Kirchgemeinden zum Beispiel bezüglich Sprachen und Gottesdienstgestaltung Pluralität möglich ist. Konkret heisst dies für die Schweiz, dass vor allem die Anglikanische Kirche (Church of England) und die Christkatholische Kirche ernsthaft eine Zusammenarbeit prüfen müssen. Hinzu treten mittlerweile durch Migration die amerikanische (anglikanische) Episkopalkirche in den USA, die Unabhängige Philippinische Kirche und die indischen Mar Thoma Christen, die bereits in Kirchengemeinschaft mit den Anglikanern stehen.
Diese Verpflichtung zu struktureller sichtbarer Einheit besteht nicht aus finanziellen Gründen, nicht aus machtpolitischen Gründen, nicht um eigene Probleme besser lösen zu können, sondern um Christi Willen und der grösseren Glaubwürdigkeit seiner Botschaft in der Welt. Die Glaubwürdigkeit der Sendung Jesu hängt nach dem Johannesevangelium konkret von der Einheit der Christinnen und Christen ab, „damit die Welt erkennt“. Das Christentum ringt auch dort um seine Glaubwürdigkeit. Die Aufsplitterung der Kirche in viele Kirchen ist ein grosses Hindernis für ihren Auftrag der Verkündigung und auch für ihren diakonischen Dienst in der Welt.
Dass eine Realisierung von sichtbarer Einheit schwierig ist, zeigen die Diskussionen in der Christkatholischen Kirche und in der anglikanischen Archdeaconry der Schweiz nach meinem Hirtenbrief von 2014. Jede der beiden Kirchen möchte zwar Einheit; aber zugleich eigentlich nur, wenn die andere so wird, wie man selbst ist! Im Grunde genommen möchten auch wir Christkatholiken/innen bis zum Jüngsten Tage unter uns bleiben wie wir sind und strukturelle Einheit nur, wenn die anderen so werden wie wir. Das ist auf der menschlichen Ebene verständlich. Denn Kirche und Kirchgemeinde haben mit „Heimat“ zu tun und von sich selbst überzeugt sein und seinem speziellen Erbe, das es zu bewahren gilt. Die Einheit der Kirche ist aber nicht eine Möglichkeit, wofür oder wogegen man sich entscheiden kann. Sie ist eine Verpflichtung. Wir sind immer mehr gefordert zu entscheiden, ob wir unsere Theorie / unser Bekenntnis auch praktisch umsetzen wollen und können.
Ökumene hat nicht nur mit Selbstverpflichtung zu tun, sondern auch mit „Selbstenteignung“. Sie setzt voraus, aus der Entdeckung des Reichtums des anderen das Eigene nicht nur besser kennen und verstehen zu lernen, sondern auch das Eigene um einer grösseren Einheit willen zu verändern. Im Verlauf dieses Prozesses ist es nötig, sich darüber Rechenschaft abzulegen, was aufgebbare und nicht aufgebbare Überzeugungen sind und welche Konsequenzen man daraus zieht.
Auch die Reformation wollte die eine Kirche reformieren und nicht spalten. So hielt der Genfer Reformator Johannes Calvin fest: „Es kann gar nicht sein, dass es mehrere Kirchen gibt! Nicht einmal ‚zwei oder drei‘ Kirchen könnte man finden, ohne dass Christus zerstückelt würde – und das kann ganz einfach nicht sein.“
Und es gehört zum Wesen der altkatholischen Bewegung, Initiativen verschiedener Art zu ergreifen, um neue Partnerschaften mit anderen Kirchen einzugehen, theoretisch und praktisch. Unsere Christkatholische Kirche war seit ihrer Entstehung sozusagen ein „Leuchtturm“ mit diesem Anliegen. Nun, wo wir teilweise die Früchte, die wir gesät haben, ernten könnten, schrecken wir aus verschiedenen Gründen (z.B. kultureller Art, taktischer Art, Identitätsängste und unterschiedliche Meinungen) zurück. Das ist verständlich. Aber wir müssen uns dann fragen, ob wir unserem eigentlichen und bisherigen Auftrag treu bleiben oder diesen heute anders umschreiben müssten? Denn ich bin mir bewusst, dass man die kritische Frage stellen kann, ob das altkirchliche Einheitsmodell (ein Ort, eine Kirche, ein Bischof) überhaupt 2000 Jahre später auf multikulturelle Gesellschaften übertragen werden kann? Vielleicht machen im heutigen Kontext – je nach Situation am Ort – auch sich überlappende Ortskirchen, die miteinander in Kirchengemeinschaft stehen, Sinn? Welche Einheit suchen wir? Welche Einheit wollen wir?
Sichtbare Einheit nach innen
Was für eine Ortskirche gilt, gilt auch für ihre Teile, die Kirchgemeinden. Eine Kirche kann besser für die Einheit der Kirche arbeiten, wenn sie selbst eins ist. Als unsere Christkatholische Kirche in den theologischen Wirren um das Erste Vatikanische Konzil und in den profanen Wirren des Schweizer Kulturkampfes entstand, haben sich bei ihrer Konstituierung diese beiden Ebenen zum Teil vermischt. Das zeigt sich besonders an dem Umstand, dass einerseits unsere Kirche gemeinsam von Nationalsynode und Bischof geleitet wird und dass andererseits die Kirchgemeinden zugleich autonom sind und fast alle Beschlüsse von Nationalsynode, Bischof und Synodalrat nur Empfehlungen und Richtlinien (ausgenommen die Regelungen im Bereich der Liturgie, der Sakramente und die Festsetzung des Zentralbeitrages der Kirchgemeinden an das Bistum). Während dies im geeinten Geiste der Gründergeneration keinen Widerspruch darstellte, führt dies heute zu immer mehr Schwierigkeiten.
Oft haben Kirchgemeinden und ihre Pfarrer/innen beim Lösen von Problemen primär nur noch ihre eigene Kirchgemeinde vor Augen und nicht mehr das Ganze. Singuläre, lokale Meinungen und Partikularinteressen verhindern einheitliche Lösungen im Bistum nach innen und schwächen damit unsere Ortskirche in ihrem Auftrag und ihrem Erscheinungsbild nach aussen. Das ist zwar im heutigen Individualismus ein Problem vieler Kirchen; aber in unserer Kleinheit fatal. Daher halte ich den bei uns oft für das Bistum verwendeten Ausdruck „Gesamtkirche“ für falsch. Unser Bistum ist nur eine Kirche, die Christkatholische Kirche der Schweiz und kein „Verband“ von Kirchgemeinden / Kirchen. Für unsere Zukunft wird daher entscheidend sein, wie es uns gelingt, in strittigen Sachfragen miteinander zu verhandeln und unsere personellen und finanziellen Ressourcen zu bündeln, um sie ganzheitlich einzusetzen. Vermutlich werden wir nicht um eine Revision unserer Verfassung und unserer Geschäftsordnungen herum kommen. Nicht wegen Flucht in Bürokratie, sondern um uns anhand der Diskussionen über unsere eigene Identität und ihre heutige Umsetzung bewusst zu werden.
In den letzten Jahren ist in unserer Gesellschaft – wie bereits in meinem ersten Hirtenbrief von 2009 thematisiert – viel über das Burn-out-Syndrom diskutiert worden. Man kann beobachten, dass nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Organisationen davon betroffen sein können. Die „erschöpfte Organisation“ versucht das Bestehende um jeden Preis zu sichern und beginnt sich immer mehr auf sich selbst zu beziehen. Das äussert sich in Kompetenz- und Zuständigkeitsproblemen, einer gestörten Kommunikation und darin, dass auf Synoden und Kirchgemeindeversammlungen Nebenthemen zu Hauptthemen werden.
Was mir am Herzen liegt
Wir sollten uns wieder entspannt und selbstbewusst auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren: Als Pionierin in der ökumenische Bewegung die Einheit der Kirche theoretisch und praktisch stiften und zugleich wie jede Kirche den christlichen Glauben in der Welt weitergeben. Das erste Thema wurde bereits vertieft. Beim zweiten möchte ich für die Mission bzw. Weitergabe des christlichen Glaubens in der Welt drei konkrete Vorschläge zur Diskussion stellen, von denen ich überzeugt bin, dass sie unserer Identität im Sinne einer gemeinsamen Vision besonders entsprechen und uns zugleich nach innen und aussen stärken könnten:
Schlusswort
Die Einheit der Christen und Christinnen zeigt sich im gemeinsamen Gebet, im gemeinsamen Feiern der Eucharistie und im gemeinsamen diakonischen Handeln in der Welt. Die Strukturen der Kirche stehen in diesem Dienst. Die Ökumene und ihr Ziel der Einheit der Kirche sind letztlich das Werk des Heiligen Geistes und das Handeln Gottes in seiner Schöpfung. An uns allen liegt es, daran mitzuwirken. Wir sollen uns dabei leiten lassen von unserer Überzeugung und nicht von unseren Ängsten. Denn falsche Sorge macht Menschen zu Gefangenen der Vergangenheit, zu Opfern der Gegenwart und Sklaven der Zukunft. Der Glaube an Christus bedeutet: Die Vergangenheit ist geordnet, die Gegenwart ist erfüllt und die Zukunft ist erhellt.
Bern, in der Fastenzeit 2015
Bischof Dr. Harald Rein