In seinem ersten Hirtenbrief stellt Bischof Dr. Adolf Küry seine Vorstellung für das Bischofsamt vor. Besonders widmet er sich der ökumenischen Zusammenarbeit und stellt sich einer konfessionellen Engherzigkeit entgegen. Dies begründet er mit dem Auftrag Jesu Christi an die Menschen und entsprechend an die Kirchen. Jesus Christus ist der eine Hirte. Die Kirchen sollen zu einer Herde werden, damit «die rücksichtslose Macht und die brutale Gewalt» überwunden wird.
Person
Adolf Küry
Amt
Bischof von 1924 bis 1955
Siegelwort
«Lasset uns Gutes tun und nicht ermüden. » Gal 6,9
Lebensdaten
* 21.07.1870 in Basel
† 26.11.1956 in Bern
Hinweis zum Bild
Das Bild entstand während der Bischofsweihe von Adolf Küry am 14. September 1924 in der Kirche St. Peter und Paul in Bern.
Dr. Adolf Küry Bischof der christkatholischen Kirche der Schweiz an die christkatholischen Gemeinden und an die Christkatholiken in der Diaspora.
Liebe Gemeinden!
Liebe Glaubensgenossen und Freunde!
Zum Antritt meines Amtes grüsse ich alle Mitglieder unserer Kirche und heisse sie zu gemeinsamer Arbeit herzlich willkommen. Es drängt mich, Allen, die mir ihr Vertrauen geschenkt und die mir zur Wahl und zu Konsekration ihre Wünsche dargebracht haben, aufrichtig zu danken. Ich bin mir wohl bewusst, welche schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe ich übernommen habe, allein ich so viele Äusserungen der Anhänglichkeit und Treue zu unserer Kirche und so viele Kundgebungen der Sympathie mit unsern Bestrebungen erfahren, dass ich zuversichtlich den Hirtenstab ergreife, um mit Gotteshilfe der mir anvertrauten Gemeinde ein treuer Bischof zu sein. Lasst uns die Hand den Pflug legen, um unverdrossen auf dem Acker des Reiches Gottes tätig zu sein. Auf zu gemeinsamer, froher Arbeit! Leitwort sei uns der Spruch des erfolgreichen Arbeiters und Apostels, des heiligen Paulus: «Lasst uns Gutes tun und nicht ermüden.» (Gal 6,9).
I.
Als der nun heimgegangene Bischof Dr. E. Herzog sein erstes Hirtenschreiben am Tag seiner Konsekration erliess, widmete er es Betrachtungen über das Bischofsamt. Das war damals angezeigt. Unter dem frischen Eindruck der Ereignisse, die zur Bildung christkatholischer Gemeinden geführt hatten, herrschte vielfach misstrauen gegen das Bischofsamt. Es ist zum guten Teil der Art, wie der Verstorbene gewirkt hat, zu verdanken, dass solche Vorurteile jetzt überwunden sind. Aus eigener Anschauung konnten unsere Gemeinden erfahren, wie segensreich die Wirksamkeit des Bischofs sein kann.
Den Gemeinden war der Entschlafene ein freundlicher Berater und milder Seelsorger, ein guter Hirte, der seinem Herrn und Meister in Treue gedient hat. Wer unter uns hat mehr als ein halbes Jahrhundert so mit seinen Mitarbeitern und Gemeinden gesorgt, gekämpft und gelitten wie er? Und dabei hat er die eingeschlagene Richtung nie verloren. Unbeirrt durch Tages- und Schulmeinungen, verstand es Bischof Herzog, ohne jede Härte die Einheit im Glauben und im Kultur zu bewahren und die Verbindung mit den Überlieferungen der alten Kirche zu erhalten. Sein Verdienst ist es in erster Linie, dass unsere Kirche im innern Zusammenhang mit den Katholizismus geblieben ist. Wie gross ist doch die Gefahr, ihn zu verlieren, sobald aus Gründen des Gewissens besondere Wege eingeschlagen werden müssen. Nicht ohne Erfolg war sein Bemühen, in lebendigem Zusammenhang mit Allen zu bleiben, denen die katholische Auffassung des Christentums Herzenssache ist. So ist unsere Kirche in Gemeinschaft getreten mit kleinen, aber auch mit bedeutenden Kirchen, die auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken können. Die Allgemeine Entschlossenheit in unserer Kirche, in diesem Sinne weiterzuarbeiten, gehört zu dem Erfreulichsten, was wir in den letzten Monaten erleben durften. Überall wurde es deshalb freudig begrüsst, dass der Erzbischof von Utrecht, der Bischof von Harlem und der Bischof der deutschen Altkatholiken zu uns gekommen sind, um dem Nachfolger nach alter apostolischer Sitte die Hand unter Anrufung des Heiligen Geistes aufzulegen, nicht als leere Zeremonie, sondern als Sinnbild und Gewähr, dass auch der zweite christkatholische Bischof in die Reihe der katholischen Bischöfe aufgenommen, nach Recht und altem Herkommen seines Amtes als katholischer Bischof walte. Wir anerkennen das um so freudiger, weil es sich dabei nicht um überlebte Anschauungen handelt, sondern weil gegenwärtig weit in der Christenheit herum das Bischofsamt hoch eingeschätzt wird, und es ein wichtiges Bindeglied werden kann in den grosszügig angelegten Bestrebungen, die getrennte Christenheit zu versöhnen und zu vereinigen.
Ob all dieser Erwägungen und Erfahrungen dürfen wir aber nicht ausser acht lassen, was uns als Christen das Wesentliche unserer Aufgabe bleibt. Die christliche Religion will das Heil der Seele. Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, «dass die Welt durch ihn selig werde» (Joh 3,17). Hier sah der Apostel das Ziel seiner Lebensaufgabe; er suchte, «was Vielen nützet, auf dass sie selig werden» (1 Kor 10,33). Dem vor allem nachzusinnen, ist gerade in unserer so materiell gerichteten Zeit heilsam. Wir wissen zwar zu gut, dass materielle Güter ernsten Christen für die höchsten Ziele Möglichkeiten und Bedingungen schaffen, auf die sie nicht gern verzichten möchten. Aber hier droht die Gefahr, dass, wie materielle Dinge leicht überschätzt werden, dies auch mit äussern kirchlichen Werken geschieht und dadurch das Wesentliche zurückgestellt und verkürzt wird. So darf auch in der kirchlichen Arbeit das Wort des Herrn nicht vergessen werden: «Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, und nähme Schaden an seiner Seele» (Mk 8,36). Das Heil der Seele ruht auf der Gnade Gottes. «Wir glauben selig zu werden durch die Gnade des Herrn Jesu Christi» (Apg 15,11), lautet die apostolische Predigt. «Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin» ist des Apostels Paulus Erfahrung (1 Kor 15,10). Vor der geheimnisvollen Majestät und unbegrenzten Barmherzigkeit Gottes erscheint unser ganzes Tun, mag es uns auch sehr wichtig vorkommen, so unbedeutend und wertlos, dass jeder, der von der Grösse und Güte Gottes ergriffen ist, nur in sich gehen kann: «Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: … Ich bin nicht wert, dein Sohn zu heissen» (Lk 15,18 f.).
Hat unser Frömmigkeitsbetrieb, unser sittliches Streben und unsere kirchliche Arbeit vor Gott überhaupt einen Wert? Gerade die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit und der ausschliesslichen Kraft der göttlichen Gnade und der Notwendigkeit das unbedingten Glaubens an sie bewog den Apostel Paulus, seine Gemeinde unermüdlich zu eigener Anstrengung und Tätigkeit anzufeuern um der Gnade würdig zu sein. «Bewirket euer Seelenheil» ruft er den Philippern zu, 2,12, und den Korinthern: +Wir ermahnen euch, nicht fruchtlos sei die Gnade, die ihre empfangen habt … In allen Dingen erzeigen wir uns als Diener Gottes» (2 Kor 6,1.4). «Wenn ich alle Glaubenskraft hätte, so dass ich Berge versetzte, die Liebe aber nicht hätte, nichts wäre ich», bekennt er (1 Kor 13,2). Der Glaube, «der in der Liebe wirksam ist», lässt ihn nicht zur Ruhe kommen, an sich und an seinen Gemeinden mit rührender Hingabe zu arbeiten. «Wandelt als Kinder des Lichts. Die Frucht des Lichtes ist jegliche Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüfet, was Gott wohlgefällig ist» (Eph 5,9f.). «Nicht in Worten besteht das Reich Gottes, sondern in Tatkraft», schreibt er an die Korinther (1 Kor 4,20). Er berührt sich da mit seinem Meister: «Nicht alle, die zu mir Herr, Herr sagen, werden in das Reich der Himmel eingehen, sondern wer da tut den Willen meines Vaters, der in den Himmeln ist, der wird eingehen in das Reich der Himmel» (Mt 7 ,21).
Noch mehr. Paulus traf in seinen Gemeinden Anordnungen und stellte Grundsätze aller – wir möchten sagen kirchlicher – Art auf, um dieser Arbeit Richtung zu geben das Gemeindeleben in Ordnung zu halten. Er selbst ist nicht der Urheber davon. So sagt er vom heiligen Abendmahl: «Ich haben von dem Herrn überkommen, was ich euch überliefert habe» (1 Kor 11,23). Das Wesentliche ist auf den Willen Christi selbst zurückzuführen. Christus hatte Apostel berufen, ihnen bestimmte Vollmachten gegeben, die heilige Taufe, das heilige Abendmahl angeordnet. Diese und andere Dinge finden sich in den paulinischen Gemeinden – nicht überall in derselben festen Form – aber doch so, dass sie den Gemeinden ein dauerhaftes Gefüge und ein einheitliches Gepräge verliehen haben. Wir bekommen den Eindruck, dass in den ersten christlichen Gemeinden ein reges religiöses und sittliches Leben herrschte, geleitet und in Schranken gehalten durch eine gute Organisation, wenn wir so sagen dürfen. Diesen Formen und Normen gab Paulus Inhalt und Kraft, als ihre Quelle betrachtet er den Geist Jesu Christi. Der Geist war das wirksame Element, nicht die Organisation: «Die alles wirkt ein und derselbe Geist», sagt der Apostel bei der Schilderung des mannigfaltigen Lebens der Gemeinde zu Korinth (1 Kor 12,11).
Und ist das nicht so geblieben? Die christliche Religion wirkt durch die Kirche auf die Menschheit, nur durch sie kann sie ihre Mission erfüllen. Selbst solche, die wähnten, ohne sie auskommen zu können, mussten sie in ihren Formen nachahnen, um ihren Anschauungen Geltung zu verschaffen. Wir wissen aber auch, dass diese Formen und Normen der Kirche zum Fallstrick geworden sind, wenn ihre Vertreter nur der Organisation dienten, die des Geistes beraubt war. Für die Organisation allein trifft das Wort: «Der Buchstabe tötet, der Geist aber belebt» (2 Kor 3,6).
II.
Diese kurzen Erwägungen sagen uns deutlich, in welchen Geist die Arbeit in unserer Kirche ausgeführt werden soll – im Geiste Jesu Christi mit dem höchsten und letzten Ziel im Herzen und ja nicht zu viel auf den Lippen –, es ist zu erhaben und zu heilig, um es beständig im Munde zu führen: Glaube, der in der Liebe wirksam ist durch Jesus Christus unsern Herrn. (Gal 5,6)
Wir sind so glücklich, in unserer Kirche alle Einrichtungen und Hilfsmittel zu besitzen, die nach katholischer Auffassung erforderlich sind, um des Heils der christlichen Religion teilhaftig werden zu können. Es fehlt uns ausserdem nicht an zahlreichen modernen Werken und Unternehmungen, die dazu dienen sollen, das religiöse und kirchliche Leben zu pflegen.
Für alle Arbeitswilligen ein weites und mannigfaltiges Feld der Betätigung. Aber Wert für unsere Seele und das Reich Gottes hat das alles nur, wenn die, welche im Dienste der Gemeindearbeit stehen, vom Geiste Jesu Christi berührt, Träger dieses Geistes sind.
In schöner Form findet sich dieser Gedanke in der Oration der heiligen Messe zur Bischofsweihe: «Allmächtiger Gott, der Du stark bist in den Schwachen, siehe gnädig herab auf die Diener Deiner Kirche und rüste sie aus mit den Gnaden Deines heiligen Geistes, damit durch das, was sie reden und tun, Dein Reich zu den Menschen komme.» So ist in der Kirche, wenn auch an der bischöflichen Verfassung und an dem Priestertum festgehalten wird, kein Raum für eine Hierarchie im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Wohl sind Bischof und Geistliche im Besitz besonderer Vollmachten, allein sie leiten daraus nicht das Recht ab, zu herrschen, sondern die Pflicht, anspruchslos, gewissenhaft und opferfreudig ihrem Herrn und Meister ihr Leben zu weihen. Wohl stehen Bischof und Geistliche in Kultus und Seelsorge als Vorsteher an der Spitze, aber sie benützen die bevorzugte Stelle nicht, um die Gemeinden zu bevormunden, sondern um ihr im Herrn Jesus Christus zu dienen, um allen behilflich zu sein, dass sie freie Kinder Gottes werden können. Wohl geniessen Bischof und Geistliche Ansehen, aber nicht Kraft ihres Amtes, sondern Kraft der Art, wie sie es verwalten, indem sie sich in allem nur durch einen Beweggrund leiten lassen, durch die Liebe zu Christus und den Brüdern. Die alles beherrschende Liebe macht einzig in der Kirche eine Hierarchie möglich.
Jeder, der sein Amt so auffasst, wird aber bescheiden gestehen: «Nicht als hätte ich es schon ergriffen, aber wäre ich schon vollkommen, aber ich strebe dahin, ob ich es ergreife, darum ich auch von Jesus Christus ergriffen bin» (Phil 3,12).
Wie bekundet sich der Geist Jesu Christi in der Gemeindearbeit? Auf der Kanzel als Geist der Wahrheit in der Verkündigung der einfachen Tatsachen des Evangeliums. Vorbild ist wiederum der Apostel Paulus: «Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, unsern Herrn, uns selbst als eure Diener um Jesum» (2 Kor 4,5). Fein unterscheidet der Apostel zwischen göttlichen Gebot und seinem persönlichen Rat. (1 Kor 7,25) So erscheint es als etwas selbstverständliches, dass der Streit um Tagesfragen und Meinungen nicht auf die Kanzel gehört. Hat der Prediger des Evangeliums aus Gewissensgründen das Bedürfnis, als Christ dazu Stellung zu nehmen, so geschehe es in der freien Versammlung, wo jeder andere seine Meinung als Christ ebenfalls vertreten kann. – Auf der Kanzel: «Christus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit» (Hebr 13,8).
Durch Predigt, Religionsunterricht, Seelsorge werden tiefe religiöse Naturen, starke sittliche Charaktere, christliche Persönlichkeiten geschaffen, die ohne weitere gute oder weniger gute kirchliche Anweisungen in beständigen Zusammenhang mit den religiösen und sittlichen Wahrheiten des Evangeliums bleiben und selbstständig den richtigen Weg im Kampf um die Tagesmeinungen finden.
Im Gottesdienst walte der Geist der Frömmigkeit und der Gemeinschaft. Wir kommen zum gemeinsamen Gebet und zu Feier der heiligen Messe zusammen, um aus tiefer Sehnsucht des Herzens nach Gott zu verherrlichen. In der heiligen Handlung am Altar schauen und erleben wir die religiöse Wahrheit der Erlösung – die Verkündigung des Todes des Herrn –, wie sie in klassischer Einfachheit und Schönheit in der Kirche geworden ist. Ergriffen vom Glauben an Christus treten wir in der heiligen Feier in lebendige wirkliche Gemeinschaft mit ihm und in der innigen Hingabe an Gott berührt sich unsere Seele durch Christus mit Gott, wir werden der Versöhnung mit Gott gewiss.
Durch die Gemeinschaft mit Christus werden wir auch der Gemeinschaft mit all denen bewusst, die in Gemeinschaft mit ihm leben und zu dieser Gemeinschaft berufen sind. Wie fühlen, wie Christi Geist uns nötigt, Gott nicht nur durch Verherrlichung seines Namens zu dienen, sondern auch durch verzeihende und fürsorgende Liebe zu den Brüdern. Der Gottesdienst wird nicht nur der Höhepunkt unseres persönlichen religiösen Lebens, sondern auch Bekenntnis zu den Brüdern. Nur die können ihm aufrichtigen Herzens beiwohnen, deren Inneres rein ist von allem Hader, Zorn und Hass gegen den Nächsten. «Wenn du deine Gabe zum Altar bringst, und wirst allda eingedenk, dass dein Bruder etwas wider dich habe; so lass allda deine Gabe, und gehe hin, versöhne dich zuvor mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe», sagt der Herr in der Bergpredigt (Mt 5,23f.). Nicht nur versöhnende, sondern auch barmherzige Liebe weckt das Gemeinschaftsgefühl. Dieser Gedanke war in der alten Kirche lebendig, so lange es Sitte war, während des Offertoriums Gaben der Liebe auf den Altar zu legen, damit sie gleichsam aus Gottes Hand den Bedürftigen der Gemeinde zugeführt wurden. Dieser Gedanke lebt abgeschwächt in der heutigen Sitte weiter, beim Kirchgang eine Gabe in den Opferstock zu legen.
Bei solcher Auffassung geht die Gemeinde nicht aus Zwang aber aus Gewohnheit oder aus Schein vor dem Geistlichen und den andern zum Gottesdienst, sondern aus innerstem Bedürfnis. Dem höchsten Gedanken des Kultus wird alles untergeordnet, was zur Verschönerung an heiligem Brauch, an künstlerischem Schmuck, an gesanglicher und musikalischer Schönheit beigetragen wird. «Wenn ihr zusammenkommt … alles geschehe zur Erbauung» (1 Kor 14,26.
Der Gedanke der Bruderschaft wird lebendig in den Werken der Fürsorge. Zahlreich und gutorganisiert sind sie in unserer Kirche. Schweben sie nicht in steter Gefahr, vor lauter Betriebsamkeit veräusserlicht zu werden? Muss nicht immer wieder an die Worte Jesu erinnert werden: «Die Linke soll nicht wissen, was die Rechte tut» (Mt 6,3). «Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan» (Mt 25,40). Betrachten wir Eigentum nicht einseitig als Besitz, sondern als anvertrautes Gut, um damit Gutes zu tun an uns und den andern, «aus freiem Antrieb des Herzens, nicht mit Trübsinn oder aus Zwang, denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb» (2 Kor 9,7).
Die Gemeindemitglieder nehmen auf Grund unserer demokratischen Verfassung regen Anteil nicht nur im rein kirchlichen Leben, sondern auch in Behörden und Gemeindeversammlungen an der Verwaltung und Regelung der Gemeindeangelegenheiten. Wenn Behörden und Gemeinden zusammentreten, geschehe es ebenfalls im Geiste Jesu Christi. Selbst alltägliche, rein weltliche Geschäfte stehen im Zusammenhang mit der höchsten und letzten Aufgabe. In keinem andern Geist sollen sie behandelt und erledigt werden. «Prüfet euch», mahnt Paulus die Gemeinde in Korinth, «ob ihr des Glaubens seid! Erkennet ihr nicht an euch selbst, dass Christus in euch ist?» (2 Kor 13,5).
In den Vereinen haben sich Hilfskräfte zur Verschönerung des Gottesdienstes, zur Pflege werktätiger Nächstenliebe, zur Sammlung der Jugend und des Alters, zur Betrachtung der Gemeindeangelegenheiten, zur Ausbreitung des christkatholischen Gedankens zusammengefunden. Diese Vereine sind nicht Selbstzweck, sondern stehen im Dienste des Ganzen. Ihre Leiter und ihre Mitglieder mögen sich in ihrem Raten und Taten vom Geiste Christi leiten lassen, vom Geist der Brüderlichkeit, der Versöhnlichkeit, der Arbeits- und Opferfreude. Sollte je das Wort des Apostels zutreffen: «Alle suchen, was ihrer und nicht was Christi ist», (Phil 2,4), so haben die Vereine ihren Zweck verfehlt und werden die Ursache von allerlei Menschlichkeiten, die dem Ganzen nur schaden. Wo Christkatholiken zu gemeinsamem Gottesdienst und zu gemeinsamer Arbeit zusammentreten, vereinigt sie stets der Gedanke: «Was ihr tut, das tut von Herzen, als wie dem Herrn und nicht den Menschen» (Kol 3,23).
III.
Christi Geist bewahrt von konfessioneller Engherzigkeit und macht aufgeschlossen für andere Anschauungen und für Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten. Er befähigt zur Achtung anderer Bekenntnisse und zur Hervorhebung dessen, was sie gemeinsam haben. «Wenn nur Christus gepredigt wird.» Das gemeinsame Gut derjenigen, die in den verschiedenen Kirchen Christus predigen, ist umfangreicher und gehaltvoller als das, was sie trennt.
Das wollen wir nie ausser acht lassen. Auf einer konfessionellen Tagung sind kürzlich von führenden Persönlichkeiten Worte christlichen Sinnes und christlicher Duldung gefallen, die, wenn sie dort in weiten Kreisen lebendig bleiben und wenn sie allen gegenüber wirkliche Anwendung finden, von heilsamer Wirkung werden können. Wir dürfen dann vielleicht erwarten, dass sich überall die Erkenntnis Bahn bricht, dass unsere Väter nur der Stimme ihres Gewissens gefolgt sind, als sie ihre eigenen Wege gehen mussten. Möge diese Hoffnung in Erfüllung gehen oder nicht, schon die Zeitlage erfordert, dass jene Gedanken in den weitesten Kreisen der christlichen Bevölkerung Anerkennung finden. Zu der Masse der kirchlich Gleichgültigen ist eine angriffslustige Schar ausgesprochener Feinde der Kirche und der Religion getreten. Da muss konfessioneller Hader ruhen. Im ersten Petrusbrief lesen wir: «Das ist der Wille des Vaters, dass ihr durch eure guten Werke verstummen macht den Unverstand törichter Menschen.» (2,15). Ein gutes Werk ist zweifellos die brüderliche Gesinnung unter den Konfessionen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Sind konfessionelle Auseinandersetzungen nicht zu vermeiden, befleissigen wir uns einer irenischen und ritterlichen Kampfesweise nach dem paulinischen Grundsatz: «Überwinde die Bosheit durch Güte.» (Röm 12,21)
Lasst uns in diesem Sinne mit allen, die guten Willens sind, auf vaterländischem Boden zusammenstehen, zur Überwindung leiblicher Not und sittlicher Gebrechen, zur Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit, zur geistigen und sittlichen Hebung des Volkes, zur Läuterung und Erneuerung seines Sinnes, zur Schärfung des öffentlichen Gewissens, zu Veredlung des Heimatgefühls und zur Vertiefung der Vaterlandsleibe. Wir erfüllen damit unsere Pflicht, die uns unser christlicher Glaube auferlegt.
So sehr wir vaterländisch gesinnt sind, Christi Geist ist universal, ist katholisch. Er zwingt uns, über die Grenzen unserer Kirche und unseres Vaterlandes hinauszuschauen. Die Vereinigung der Kirchen «eine Herde unter einem Hirten» ist ein Ziel, für das unsere Kirche seit ihrem Bestehen eintritt.
Von den Vereinigten Staaten aus ist es neu in Angriff genommen worden. Neue Methoden der Verständigung werden gesucht und vorgeschlagen. Gewiss stehen rein kirchliche Fragen im Vordergrund der Betrachtung. Nicht das soll hervorgehoben werden, was die Kirchen trennt, sondern was sie an gemeinsamen Gut besitzen und was den Wert und die Bedeutung jeder Kirche nach positiver Richtung hin ausmacht. Die Kirchen lernen sich dadurch schätzen und anstelle von Vorurteilen tritt das Bestreben von einander zur Festigung der eigenen Position zu lernen. Durch solche Verständigungsarbeit wird brüderlicher Sinn geweckt, was nicht nur den Beziehungen der Kirchen untereinander, sondern auch den Völkern zum Segen gereichen wird. Der Beginn einer neuen Ära der sittlichen Gedanken des Rechts und der Gerechtigkeit, die die rücksichtslose Macht und die brutale Gewalt überwinden sollen, die so viel Unheil über die Menschheit gebracht haben.
Durch solche Verständigungsarbeit können die Kirchen mithelfen, die Vorbedingungen dieses neuen Zeitalters zu schaffen, wenn sie einander nähertreten und Voreingenommenheit und Feindschaft durch Anerkennung und Liebe ersetzt wird. Auf diese Weise stellen sie sich in den Dienst der Versöhnung der Völker und des Friedens der Welt.
Wenn wir aber so die Schranken unserer Kirche verlassen, geraten wir nicht in die Versuchung, sie gering zu schätzen und schliesslich verschwommenen Zielen zu huldigen? Gewiss nicht. Im Gegenteil, wir werden unsere eigene Kirche erst recht in ihrem Wert würdigen lernen, weil sie uns zu solchen Bestrebungen nötigt, uns vor jedem schädlichen Konfessionalismus und engherziger Kirchlichkeit bewahrt und uns möglich macht, von allen zu lernen und unsere Auffassung an andern zu vertiefen, ohne dass wir auf den Katholizismus verzichten müssen. So werden wir ihre Eigenart noch mehr lieben und ihr bedingt treu bleiben. «Lasset uns unverrückt festhalten am Bekenntnis unserer Hoffnung, denn treu ist er, der die Verheissung gab.» (Hebr 10,23)
Ein weites herrliches Arbeitsfeld, Raum genug für jeden Arbeitswilligen nach seinen Fähigkeiten. «Es sind der Geistesgaben verschiedene, aber es ist derselbe Geist; es sind der geistlichen Dienste verschiedene, aber es ist derselbe Herr, und es sind der Wunderkräfte verschiedene, aber derselbige Gott, der alles wirkt in allen. Jedem aber wird die Erweisung des Geistes gegeben zum Gemeinnützigen.» (1 Kor 12,4ff) Wie dankbar sind wir dem heimgegangen Bischof, dass er so unermüdlich gearbeitet hat und bestrebt war, unsere Kirche mit dem Geiste Jesu Christi auszustatten, der uns befähigt, überall mitzutun. Wohlan, lasst uns in dieser Arbeit nicht ermüden, in der Arbeit an uns selbst und in der Arbeit für unsere Brüder, in der Arbeit in unserm Vaterland und in der Weite der Völker. Legen wir die Hand an den Pflug. «Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes». (Lk 9,62) Schauen wir vorwärts und aufwärts, indem wir beten: «Unser Herr, kommt!» (1 Kor 16,22) Amen.
Bern, im September 1924
Dr. Adolf Küry, katholischer Bischof.